, Frei Urs

Tagi Magi unterstützt Pro Buchparadies mit einer Liebeserklärung ans Lesen und an das Buch

Kolumne von Nina Kunz in DAS MAGAZIN vom 4. April 2020 mit einem feinfühligen Votum für das Lesen und für das Buch.

Die Wochenendbeilage DAS MAGAZIN aus dem Haus Tamedia pflegt seit langen Jahren einen 'slow journalism'. Für mich bringt das immer wieder grossen Lesespass am Wochenende.
Am letzten Samstag ist mir in der Kolumne von Nina Kunz ihr feinfühliges Votum für das Buch aufgefallen:
 
Bedingungslose Liebe
Eine Kolumne von Nina Kunz
Das Magazin No14 - 4. April 2020
 
Beim Lesen liebe ich den Exzess. Pro Woche lese ich mindestens ein Buch, und mein Buchhändler weiss seit zehn Jahren, wann mein Geburtstag ist.
Als Kind konnte ich stundenlang regungslos auf dem Bauch liegen und «Tintenherz» oder «Harry Potter» verschlingen. Heute brauche ich ein Kissen im Kreuz, damit ich längere Zeit in der gleichen Position verharren kann. Es gibt Dutzende Bonmots, die den Zauber des Lesens erfassen wollen – etwa: «Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn», aber das greift mir irgendwie nicht tief genug.
Auf Twitter schrieb mal jemand, Lesen sei im Grunde nichts anderes, als tote Bäume anzustarren und dabei zu halluzinieren – das fand ich schon mal gut, schliesslich grenzt es an ein Wunder, dass ich den Satz lesen kann: «Ein Kamel trottet über die Strasse» – und ich dann tatsächlich ein Kamel vor Augen habe. Das Kopfkino ist etwas vom Allerbesten am Lesen.
Gestern habe ich erfahren, dass Marcel Proust die Beziehung zu seinen Büchern offenbar als die aufrichtigste Form der Freundschaft bezeichnete – und das überzeugte mich komplett. Beim Lesen muss man sich schliesslich nie verstellen. So las auch Proust nur, wenn er wirklich Lust dazu hatte, lachte nur, wenn er sich ehrlich amüsierte – und selbst Molière stellte er zurück ins Regal, wenn dieser ihn anödete. Bücher haben eine Art der Verlässlichkeit, die einzigartig ist. Sie sind für einen da, trösten und wollen nichts im Gegenzug. Das Lesen ist intim, direkt und vertraut. Vielleicht ist es sogar die einzig real existierende Form «bedingungsloser Liebe».
Ich selbst liebe Bücher jedenfalls so sehr, dass mich manchmal die Angst plagt, blind zu werden. Zwar sind Hörbücher auch toll, aber das Chhhht-Geräusch, das die Seiten beim Umblättern machen, das raue Gefühl unter den Fingern, der Duft des Papiers – das alles ist für mich unersetzlich. Ich liebe die Bücher aber nicht nur wegen der Haptik, sondern auch weil sie mich gelehrt haben, wie beschränkt meine Sicht auf die Welt ist. Durch das Lesen war ich mit Chimamanda Ngozi Adichie in Lagos, mit Klaus Mann im Berlin der Dreissigerjahre und mit Dave Eggers im Silicon Valley: Die Bücher in meinen Regalen erzählen tausend Geschichten, und keine ist «besser» als die andere. Sie haben mir beigebracht, demütiger zu sein und zuzuhören.
Zudem ist Lesen das praktischste Hobby überhaupt: Es macht Freude, reduziert Stress und trainiert das Gedächtnis. Besonders mag ich übrigens Erzählungen, die vom Alltag handeln. Wenn ich zum Beispiel lese, wie poetisch man eine Küche beschreiben kann, kommt mir meine eigene Küche plötzlich auch ganz magisch vor. Ich meine: Solange ich lese, ergibt mein Leben irgendwie Sinn.
Nina Kunz ist Historikerin und Journalistin.
 
Die Presse kämpft einen ähnlichen Existenzkampf wie der Buchhandel und das von uns unterstützte Buchparadies in Winterthur. Im Prinzip ist die Tamedia mit ihren Titeln deshalb auch existenziell darauf angewiesen, '... dass für die Texte, die wir produzieren, bezahlt wird.'
Weil wir mit unserer Initiative in einem verwandten Bereich tätig seien und den Text für eine gute Sache verwenden würden, haben wir die Möglichkeit erhalten, den Artikel von Nina Kunz hier in unserem Blog zu veröffentlichen. 
 
Ich hoffe, dass Sie diese Ode an das Buch auch inspiriert und dazu beiträgt, das Buch als Träger von Geschichten und Wissen nachhaltig wert-zuschätzen. Und vielleicht mit einer Mitgliedschaft im Verein Pro Buchparadies ein Zeichen Ihrer Unterstützung zu setzen. Hier geht's direkt zur Anmeldung.
 
Herzlichen Dank für Ihr Interesse und viel Spass beim Lesen.
Urs Frei

Bild: Der Leser von Stephanie Hofschlaeger auf pixelio.de 

Unterstützung auch von der Autorin der Kolumne, Nina Kunz:
«Natürlich dürfen Sie den Artikel so freischalten.
Viel Erfolg mit allem – tolle Arbeit, die Sie da machen in Winterthur!»